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"Lass mich in Ruhe mit Krautrock!"

Artikel in Rocks 0218

Erschienen in Rocks
Von Thomas Zimmer

Unverwüstlich seit 1966: Birth Control

Gamma Ray – der Dauerbrenner in Discotheken und zugleich fesselnder Rockgroove. Der singende Trommler Bernd Noske. Eine unüberschaubare Menge von Umbesetzungen und ein faszinierender musikalischer Zickzack-Kurs von Hardrock zu Artrock, Prog und zurück. Das ist die Geschichte von Birth Control. Sie beginnt 1966 mit dem 16jährigen Trommler Hugo Egon Balder, der die Band mit dem Bassisten Bernd Koschmidder gründet, und ist auch 52 Jahre später noch nicht zu Ende.

»Ringo Starr wird oft unterschätzt«, sagt Hugo Egon Balder, »und die meisten Schlagzeuger spielen ›Come Together‹ falsch«. Spricht’s und schon trommelt mit den Fingern auf dem Tisch vor, wie es richtig geht. Der heute 67-jährige ist 16, als er zu Zeiten der Beatlemania zusammen mit Bernd Koschmidder Birth Control gründet. Mit vier hat er Klavierstunden verordnet bekommen, mit elf spielt er vorm elterlichen Plattenspieler zu den Elvis-Platten seine Bruders den Dirigenten. »Bis ich irgendwann gemerkt habe: ich dirigiere gar nicht, ich mache den Takt.« Seine Mutter kauft ihm für 20 Mark ein Schlagzeug, er steigt bei den Earls ein, die sich kurze Zeit später auflösen. 1966, die Earls sind Vergangenheit, trampt er mit seinem Bassisten und Kumpel Bernd Koschmidder nach England. »Wir haben auf dem Trafalgar Square geschlafen. Da fuhr mal ein Bedford- Bus vor, es stiegen vier Typen aus und verteilten Sandwiches an alle, die da gepennt haben. Das waren die Small Faces! Im Marquee Club reifte der Gedanke, eine neue Band zu machen.« Birth Control ist geboren – zu Balders Zeiten eine reine Coverband, die aber zunehmend in ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland herumkommt. Während eines Engagements in München begleiten sie Sammy Davis Jr.. »Mein Vater sass in der ersten Reihe neben Brigitte Bardot.« Filigranarbeit war in Balders Trommlerjahren nie sein Ding. »Ich weiss nicht, wie viele Millionen Stöcke ich zertrümmert habe.« Seine Lieblingsdrummer sind auch eher laut: Mick Avory von den Kinks zum Beispiel, Ginger Baker oder Keith Moon: Für Balder ist seine Zeit als „Rockstar“ bei Birth Control im Dezember 1968 vorbei. Er packt das Schlagzeug ein und nur noch selten wieder aus. Wie zuletzt in der Sendung „Ich stelle mich“ im Oktober 2017, in der ihn Sandra Maischberger zu einem Drumduell mit seinem Idol Pete York „zwingt“, vor dem er einen Riesenrespekt hat. Balder schlägt sich respektabel, aber man sieht ihm seinen Schrecken an. „Ich hab’ das wirklich vorher nicht gewusst“, lacht er er.

Heute spielt Hugo Egon Balder lieber Keyboard, des Rückens wegen. Seine alte Band hat er über die Jahrzehnte nur sporadisch verfolgt, aber »einen Auftritt der aktuellen Besetzung würde ich mir schon anschauen.« Die trifft sich an einem nebligen, verregneten Dezembertag des Jahres 2017 im Proberaum im bergischen Land. Nach dem Tod von Urgestein und Trommler Bernd „Nossi“ Noske 2014 haben Gitarrist Martin Ettrich, Keyboarder Sascha Kühn und Bassist Hannes Vesper die Alumni Manni von Bohr (Schlagzeug von 1977 bis 1980) und Peter Föller (Bass und Gesang von 1973 bis 1977) geholt, um mit den alten Klassikern und dem Material des letzten, noch mit Nossi eingespielten Albums Here And Now weiterzumachen. Die Kaffeemaschine zischt, Anekdoten aus über vier Jahrzehnten machen die Runde. Das Reizwort Krautrock steht im Raum. »Ein Journalist hat bei einem Interview mit Nossi gleich in der ersten Frage das Wort Krautrock benutzte. Nossi ging hoch: So ein Blödsinn, lass mich in Ruhe mit Krautrock, hat er sich aufgeregt«, erzählt Martin Ettrich lachend.« Jeder hat seine eigene Geschichte in und mit der Band. »Mich hat die Musik gekickt«, sagt Manni von Bohr. »Dieses Konglomerat an verschiedenen Stilrichtungen.« Martin Ettrich, als letzter 2009 dazugekommen, erinnert sich an seine Reaektion auf die damalige Anfrage eines Freundes: »Wie? Birth Control, die spielen noch? Ich kannte ja nur ›Gamma Ray‹, dazu haben wir früher gekifft und nur das Intro immer wieder gehört.« ›Gamma Ray‹ und Bernd Noske – damit haben die Fans die Band immer identifiziert. »Nossi war immer so ein Alpha-Tier. So einen muss es in der Band geben« sagt Manni von Bohr. In seiner Küche sitzt der tote Trommler an diesem Nachmittag mit am Tisch.

49 Jahre zuvor, am ersten Weihnachtsfeiertag 1968, geht Bernd Noske bewaffnet mit einem Tonbandgerät zum Mitschneiden zu einem Auftritt von Birth Control. Schon beim nächsten Gig einen Tag danach wird er den Drum-Hocker von Hugo Egon Balder übernehmen, nachdem er nachts geübt hat. Mit dem neuen Schlagzeuger beginnt die Neuerfindung der bisherigen Coverband als kreatives Musikerkollektiv mit eigener Identität. Schon im Januar 1969 brechen sie auf zu einem dreimonatigen Abenteuer: Ein dreimonatige Engagement im Nachtclub Les Caves De Roy im Hotel Excelsior in Beirut »Da gab es immer 400 US Dollar, das war eine Menge Geld«, erzählt der damalige Bassist Bernd Koschmidder. Richtig los geht es aber erst nach der Libanon-Erfahrung Ende März 1969: Sänger Fritz Gröger alias Little Lord hat sich abgesetzt, während Bernd Noske der Band das Alleinstellungsmerkmal des singenden Drummers verschafft. Weil er Lust drauf hat und kein anderer den Job übernehmen will. Bruno Frenzel übernimmt die Gitarre. Er wird bis zu seinem Tod einer der entscheidenden Kreativ-Motoren der Band blieben.

1970 erscheint das Debutalbum der Band, verpackt in eine Pillendose. Am 4. September steht die in der Berliner Deutschlandhalle beim Super Concert 70 mit Procol Harum, Ten Years After und Jimi Hendrix auf der Bühne. Den trifft Bernd Koschmidder in den Katakomben: »Da saß der janz alleene in der Garderobe, hat mir einen Joint hingehalten und ich hab’ jedacht, warum nüscht. Bei Jimi Hendrix kannste ja einen Zug nehmen.« Ebenfalls 1970 debütiert Ingrid Steeger als Groupie Vicky im Film “Ich ein Groupie”, einem wilden Panoptikum aus Drogen, Musik und Sexparties. Und mittendrin Birth Control, die ›No Drugs‹ vom Debütalbum spielen, während Vicky Herrn Koschmidder anbaggert.

War schon der Name der Band eine Anspielung auf die Pillenverbots-Encyclica Humanae Vita des Papstes Paul VI, so schlägt das Cover des zweiten Albums Operation (1971) mit zunehmendem Bekanntheitsgrad der Band höhere Wellen. Es zeigt den Papst, die Pille und ein Babies fressendes Monster. Marketing-Kalkül oder politisches Statement? »Es war auch eine politische Botschaft«, kommentiert Bernd Koschmidder. »Dazu stehe ich noch heute. Die Leute vermehren sich wie die Karnickel und keiner macht sich mehr Gedanken, was in den nächsten 20, 30 Jahren ist.« Der Polizeipräsident des Schweizer Kantons Zug lässt Plakate beschlagnahmen, sie seien eine Beleidigung für alle Katholiken. Der CDU-Stadtrat Otto Holik in Sarstedt bei Hannover macht Stimmung gegen ein Konzert der „Pornogruppe“ und zuhause in Berlin wollen einige Plattenläden das Album nicht verkaufen. Weniger porovokant, eher solide ist die Musik: Solider Hardrock mit leichter Schlagseite zur Orgellastigkeit, obwohl das gesamte Material von Bruno Frenzel komponiert ist. Mit dem monolithischen Riff-Rocker ›The Work Is Done‹ enthält es zudem einen Konzertklassiker für die kommenden Jahrzehnte.

Im Juli 1971 spielen sie vier Konzerte in England, das letzte davon im legendären Marquee Club. Danach verlegen sie ihren Wohnsitz von Berlin in die Bundesrepublik. Zuerst nach Burkhards im Vogelsbergkreis in eine alte Dampfmolkerei, später übernehmen sie den Lerchenhof in Pohlhausen bei Köln. »Die Leute denken immer, wir hätten in Burkhards mit Weibern gewohnt, gekifft und gefickt bis zur Bewusstlosigkeit. Aber das haben wir nie gemacht«, schmunzelt Bernd Koschmidder. »Wir sind abends in die Kneipe gegangen und haben uns mit den Bauern angefreundet.« Viel später, im deutschen Herbst 1977 schaut die Polizei schon mal in Pohlhausen vorbei, erinnert sich Manni von Bohr. Schließlich könnte es sich bei den Langhaarigen ja um RAF-Terroristen handeln. Die Band lebt in ihren ländlichen Domizilen zusammen mit genügend Freiraum für die einzelnen Mitglieder. Hier kann sie die Musik entwickeln. In Manni von Bohrs Küche tauschen der Schlagzeuger und Peter Föller lebhafte Erinnerungen an Bruno Frenzel – das kreative Epizentrum der Band – aus. »Wir haben lang gepennt, aber ab ein Uhr waren wir jeden Tag im Proberaum. »Bruno war der Workaholic«, sagt Föller. »Bruno gniedelt wieder, haben wir immer gesagt«, wirft von Bohr ein. »Der hat sich seinen Kaffee geholt, dann ist er verschwunden. Wir haben ihn immer gehört, wenn er unten seine Aufnahmen gemacht hat. Der war ein Musikeremit. Und eigentlich hätte er auch Jazzgitarrist sein können. Aber auf der Bühne hat er jemanden gespielt, der er privat gar nicht war in seinem tollen Bühnenoutfit: Leopardenfell, getönte Sonnenbrille.«

Frenzel entwickelt zusammen mit Bernd Noske ›Gamma Ray‹, das zehnminütige Kernstück des dritten Albums Hoodoo Man: »Wir hatten nur fünf Stücke und es fehlten noch zehn Minuten. Dann habe ich mit Bruno ‘ne Session gemacht. Er hatte das Thema. Wir hatten zwei, drei Minuten, da haben wir die Teile aneinandergehängt und die Lücken mit Soli gefüllt.« So schilderte es Bernd Noske später. In Bernd Koschmidders Erinnerung klingt es heute so: »Wir haben das in einem Zug durchgespielt. Da ist nichts geschnitten. Nun steh’ doch mal da und spiel’ zehn oder 12 Minuten immer das gleiche Riff. Da wirst du verrückt. Es waren ein paar Fehlerchen drin, aber wir haben gesagt, das verstärkt den Live-Charakter.«

Aufgenommen wird im Tonstudio Hamburg, wo zu der Zeit auch Udo Lindenberg arbeitet. »Udo hat dem dem Noske noch die Becken geklaut über Nacht. Wir haben dann herausgefunden, wo er wohnt und gesagt: Udo, entweder du rückst die Dinger wieder raus oder wir hauen dir gleich was auf die Fresse. Damit war die Sache erledigt.« Noch bevor die Band mit dem späteren Erfolgsalbum Hoodoo Man auf Tour geht, beschließt der Bassist, auszusteigen, »weil ich gemerkt habe: Das war es jetzt. gerade in diesem Business soll man immer dann aufhören, wen es am schönsten ist.«

Für Koschmidder kommt im Februar 1973 Peter Föller. Er kündigt seinen Job als Beamter im höheren Dienst und stürzt sich ins Abenteuer. »Ich habe sie das erste Mal auf einem Konzert in Siegen gesehen und das fand ich gar nicht gut. Dann hieß es aber, komm mal vorbei. Wir haben gejammt, und da dachte ich: das ist genau das, was mich musikalisch interessiert. Gamma Ray war ja schon aufgenommen, aber ich kannte es nicht. Ich habe es später das erste Mal live gespielt.«

Im Mai 1973 geht auch Keyboarder Wolfgang Neuser und wird ersetzt durch den Freiburger Zeus B. Held, der Musikwissenschaft und Jura studiert, aber schon ein Jahr mit der französischen Profiband Eruption auf Tour war. »Mit einer Freiburger Band habe ich im Vorprogramm von Birth Control gespielt. Mich hat Gitarrenmusik damals nur am Rande interessiert, ich war ein vollkommener Fachidiot. Ein paar Tage später kam der Anruf, ob ich bei Birth Control einsteigen könnte.« Held schmeisst sein Studium hin und Rebirth, erschienen 1974, wird das erste Album mit dem neuen Tastenmann. Zwar setzt es den kernigen Hardrock von Hoodoo Man fort, ist aber verspielter und erlaubt sich Ausflüge in progressive Gefilde, angefunkte Parts, balladeskes mit akustischer Gitarre und experimentiert gar mit Bläsersätzen. »Wir waren alle nicht so die Typen, die analysiert haben: Warum mögen das die Leute. Man hat einfach aus dem Bauch Musik gemacht.«

Die Band tourt exzessiv, im Mai 1974 rückt das Recordomobile des Produzenten Dieter Dierks aus und schneidet Konzerte in Freiburg, Attendorn und Dorsten für ein Live-Album mit. Der Anzeigentext der Plattenfirma verspricht vollmundig “Viel Volk, viel Phon, viel Birth Control drauf – da kann man schon mal 22 Mark raustun, rund 28 Fennich pro Rockminute”. In der Tat ist die Band in Hochform zu erleben: Kompakter Hardrock mit einer unbändigen Lust auf Improvisation. ›Gamma Ray‹ ist inzwischen über 20 Minuten lang – und langweilt nicht eine Sekunde, nicht zuletzt dank des neuen Keyboarders furiosem Einsatz. »Ich habe mir das kürzlich nochmal angehört, bei mir im Studio voll aufgedreht, und ich muss sagen: Fucking super! Das war ja eine richtig geile Band, das fällt einem auch nach 40 Jahren noch mal auf. Wir haben uns musikalisch umarmt, das war einfach herrlich.«

1975 ist die Band ständig auf Achse: So steht im Sommer eine große Spanien Tournee an. Zwar kommen in San Sebastian 22.000 Zuschauer, aber viele Auftritte und Auftrittsorte und -bedingungen stellen die Band vor eine nervliche Zerreissprobe. Bernd Noske, der immer gerne alles ordentlich hat, ist kurz vorm Durchdrehen. Peter Föller ficht das alles deutlich weniger an. Wenn er davon erzählt, klingt er noch heute recht amüsiert. »Im Vertrag stand, dass wir von Mitte Juni bis September in Spanien 40 Gigs machen. Es stand aber nicht drin, wo. Nur, dass eine Spielstätte von der anderen nicht weiter als 300 Kilometer entfernt sein soll und es pro Gig eine bestimmte Summe plus Kost und Logis gibt. Irgendwann kam ein Telegramm: Ihr spielt erst auf Mallorca und fahrt mit der Fähre von Barcelona. Dort hieß es, Mallorca findet nicht statt, denn die Fähre ist überbucht, wir haben keinen Platz. Aber das wäre eine ganze Woche gewesen, in der wir Geld verdient hätten. Dann sind wir nach Madrid, da wurde es schon eng. CBS hat noch eine paar Radiointerviews organisiert, dabei haben wir wenigstens was zu Essen gekriegt.«

Im November geht es nach England – als Vorband von Blue Öyster Cult. Zeus B. Held kann ein Lied singen von den für die 70er-Jahre typischen Vorgruppen-Erfahrungen: »Wir hatten einen leiseren Sound und nur zwei Scheinwerfer. Bei ihnen war alles perfekt. Es war aber toll, sie in ihrer Professionalität zu beobachten. Wir kamen aber auch gut an, und man sah richtig, wie die Verkäufe unseres Live-Albums hochgingen, wenn als wir dort gespielt haben. Insofern ging der Plan von CBS auf.« Danach sind Konzerte in Frankreich als Vorband von Johnny Winter angesagt. Bei einem Konzert in Paris wartet alles auf Johnny Winter, der aber lässt sich lange bitten. Birth Control verlängern ihren Auftritt zum wachsenden Unmut des Publlikums, das zunehmend lauter nach Johnny Winter ruft. Der kommt schliesslich schwer angeschlagen auf die Bühne, die Vorgruppe räumt eilig ihr Equipment ab. Johnny Winter beginnt mit einem mächtigen Akkord und stürzt von der Bühne.

Während das Livealbum einen vorläufigen Schlusspunkt der rockenden Sturm- und Drangphase der Band markiert, wird danach experimentiert. Mit den kommenden zwei Alben Plastic People (1975) und Backdoor Possibilities (1976) wird ein deutlicher Stilwandel vollzogen. Jazz und Klassik-Elemente plus noch mehr progressive Kompositionsweisen halten Einzug. Das liegt auch an Zeus B. Held, aber nicht ausschließlich. »Ich habe ja nicht gesagt: Jetzt ist aber mal Schluss mit Status Quo und Rock’n’Roll. Aber wir waren alle etwas gelangweilt von den drei Akkorden, und Nossi war ein Schwamm, der alles aufgesaugt hat. Der wurde zum Die Hard Zappa Fan und die fingen alle an, Gentle Giant und 10 cc zu hören. Zeug, das ich eh schon gehört habe. Peter hatte mehr so ein Faible für die amerikanischen Sachen wie Doobie Brothers und Eagles. Getroffen haben wir uns alle bei Supertramp.«

Das erste Ergebnis, Plastic People, beeindruckt zumindest Kritiker. Der Musikexpress lobt die Band für ihre musikalische Emanzipation. »Wir wollten das Risiko«, sagt Peter Föller. Wie anders diese Musik ist, merkt Martin Ettrich, als er fast 35 Jahre später in die Band einsteigt und den Titelsong lernt: »das hatten die mir kurz vor meinem ersten Gig geschickt. Ich hab’ mir das angehört und gedacht: Sind die bescheuert oder wollen die mich testen, ob ich das kann? Das ist eine total vertrackte Nummer, bei der man sich einen Haufen Zeug merken muss.«

Backdoor Possibilities wird 1976 mitproduziert von David Hitchcock, der unter anderen das Genesis-Album Foxtrot und Alben von Camel und Caravan in seinem Lebenslauf stehen hat. Es ist ein Konzeptalbum über einen Büro-Angestellten, der vorm Tod sein Leben reflektiert. Musikalisch noch ausgefeilter, ihn seiner Komplexität gelegentlich sogar verwandt mit Gentle Giant. Zeus B. Held hat zusammen mit Bruno Frenzel und Bernd Noske die Musik und die Story erarbeitet »Wir haben uns da musikalisch zeimlich aus dem Fenster gelehnt. Zu Beginn der Tour haben wir in Köln im Gürzenich gespielt. Uns fiel eigentlich nicht auf, dass die Leute verstört waren. Aber wir haben gemerkt, dass sie bei den alten Songs anfingen zu grooven und zu rocken. Der Rest war wirklich Art-Rock Konzert. Die Medien haben sich zurückgehalten, eine Hitsingle war schon gar nicht drauf.«

Im Frühjahr 1977 dreht sich das Besetzungskarussell weiter. Bernd Noske drängt es nach vorne, den Löwenanteil des Schlagzeugspiels will er jemand anderem zu überlassen. Da Peter Föller auch keinen Bock mehr auf Birth Control hat, holt Noske gleich die komplette Rhytmussection von Message: neben Manni von Bohr den Bassisten Horst Stachelhaus. Für von Bohr ist es die Rettung, »denn Message war damals ziemlich am Ende. Der Sänger war alkohol- und tablettenabhängig, der kannte einen Tag nach der Probe die Stücke nicht mehr. Ich hatte nix, ausser der Musik, einem Plattenspieler, einer Couch zum pennen und zehn Mark in der Woche von der Band plus Care-Pakete von meinen Eltern. Dann kam das Angebot von Birth Control: Wir haben euch ausgeguckt, habt Ihr nicht Lust?«

Nachdem der abrupte Richtungswechsel viele Fans vertrieben hat, hofft die Band mit den neuen Leuten wieder Fuss zu fassen. »Wir haben gedacht, das bringt noch mal frischen Wind und Auftrieb in die Hütte« beschreibt Zeus B. Held die Aufbruchstimmung, und »da hatten wir plötzlich so einen Überbassisten, der eigene Melodien spielte und slappte.« Increase (1977), das erste Album der Besetzung, ist wieder geradliniger. Wenn die klassische Rockschiene verlassen wird, dann eher in Richtung funky Grooves und Fusion-Elemente, nicht zuletzt eingebracht vom neuen Trommler. »Ich bin halt stark von Billy Cobham, Mahavishnu Orchestra und Chick Corea beinflusst. Aber Nossi hat immer akzeptiert, was ich angeboten habe. Mag sein, dass er das eine oder andere nicht gut fand – aber es war eine gute Kooperation.« Unterdessen entwickelt sich Bernd Noske zum kompetenten Vibraphonspieler und baut um sich Percussion-Instrumente auf. »Nossi ist auf der Bühne rumgeflitzt und hat mal hier, mal da gespielt.« Höhepunkt der Show ist das Drumduell der beiden stilistisch so unterschiedlichen Musiker.

Sensations-Drumbattles nennt sie Zeus B. Held, der nach dem nächsten Werk Titanic (1978) von Bord geht. »Ich dachte, es ist wirklich Zeit, dass ich ehrlich zum mir und den anderen bin. Ich hatte immer das Gefühl, dass man mit englischsprachiger progressiver Rockmusik in Deutschland am falschen Ort ist. Ich wollte dann elektronische Musik ohne Rockambitionen machen.« Das tut er und wird ein erfolgreicher internationaler Musiker, Produzent und Soundarchitekt für elektronische Musik, Pop und Dance. Seine Birth Control-Bilanz fällt in musikalischer Hinsicht positiv aus, aber »was uns gefehlt hat, war ein Typ, der das Business kennt. Da könnte ich dir eine ganze Liste von Namen sagen, die wir damals haben hätten sollen, und die wissen, wie man Existenzen aufbaut, ohne dass man hinterher von der Sozialhilfe leben muss.« Für den es aber nach Helds Meinung schwierig gewesen wäre, ein zugkräftiges Image für die Band aufzubauen. »Wir waren halt meistens langhaarig und unrasiert, und über die Klamotten wurde nie geredet. Bei der Increase hat meine damalige Freundin gesagt: lasst uns ein bisschen Make Up für die Gesichter nehmen, aber da kam von Nossi sofort Protest: Was soll der Quatsch? So war sie halt, diese Progressive Mid Seventies Madness.«

Nachdem auch Titanic mit seinen angefunkten Rhythmen nicht die ersehnte kommerzielle Energiespritze ist, »wurde die Plattenfirma so langsam nervös und hat gesagt: Leute, ihr müsst wieder mehr in die Rockschiene gehen. Wir verkaufen zu wenig«, erinnert sich Manni von Bohr. Mit einem neuen Label und dem Nachfolger Count Om Dracula (1980) besinnt sich das Quintett wieder auf die Hardrock-Tugenden der frühen Jahre. »Weder treu-deutsch noch anglo-amerikanisches Plagiat« zitiert der Label-Waschzettel damals Bernd Noske. Im April 1980 muss Manni von Bohr wegen einer akuten Blinddarmentzündng während der laufenden Tour ins Krankenhaus, und Bernd Noske setzt sich wieder hinter die Schießbude, um die Konzerte nicht platzen zu lassen. Manni von Bohr wird arbeitslos. »Nossi war eine Schlagzeugerseele. Da hat er wieder Blut geleckt, dann war ich halt raus aus der Band.«

Die Band macht weiter. Zwei weitere Alben, die am wiedergefunden Stil festhalten, erscheinen in den folgenden beiden Jahren – Deal Done At Night und Bäng. Niemand ahnt, dass es für lange Zeit die letzten Lebenszeichen der Band sein sollen. Am 21. September 1983 geht es Bruno Frenzel schlecht. Bernd Noske erinnert sich später genau an diese Nacht: »Er sagte zu mir: Nossi, ruf mal ‘nen Notarztwagen an. Ich glaube, ich kratze ab. Das waren seine letzten Worte. Nachts um vier Uhr kam die Nachricht: Herr Frenzel ist soeben verstorben.« Bei einem Konzert in der Schweiz 1975 hat der Gitarrist einen Stromschlag erlitten. Den er wohl nicht überlebt hätte, hätte nicht ein Roadie geistesgegenwärtig das Stromkabel mit einer Axt gekappt. Aber dieser Unfall verursacht einen Herzklappenfehler, der schließlich zu Frenzels Tod führt.

Bernd Noske löst die Band auf. Zehn Jahre lang gibt es Birth Control nicht mehr, 1993 feiert die Band Wiederauferstehung in wechselnden Bestzungen. In den 90er Jahren beginnt sich die aktuelle Besetzung zu formieren – mit Hannes Vesper am Bass, Sascha Kühn an den Keyboards und Peter Engelhardt (Gitarre), der 2011 von Martin Ettrich abgelöst wird. Am 18. Februar 2014, Here And Now, das erste Album nach über zehn Jahren Studiopause ist gerade in Arbeit, kriegt Sasha Kühn eine SMS mit einer schockierenden Nachricht: »Nossi ist tot. Wir haben erst gedacht: Wir machen wenigstens die Platte fertig, als Denkmal für ihn. Dann war sie draußen und wir dachten, es ist doch schade, nicht mehr zu spielen.« Da man den Bandnamen beibehalten will, kommen für Schlagzueg und Gesang nur Peter Föller und Manni von Bohr in Frage. Und so geschieht es. »Vor den ersten Gigs wusste keiner, was passiert«, wirft Manni von Bohr in die angeregte Diskussion in seiner Küche. »Vorm allerersten Gig ging’s mir gar nicht gut«, lacht Peter Föller. Die Nerven. » Aber bis jetzt hat es funktioniert. Und ›Gamma Ray‹ kann heute schon mal eine halbe Stunde dauern. Die Leute nehmen aber auch die neuen Stücke gut an«, freut sich der Schlagzeuger. Das Schlusswort geht an Hannes Vesper. »Birth Control war für die Leute immer mit dem Song ›Gamma Ray‹ verknüpft und auch mit Nossi. Das ist das Erbe. Es ist aber auch so schon eine geile Band, und deshalb haben wir uns entschlossen, weiterzumachen.«